François R. du Plessis – Der rote Faden
30.01. – 06.06.2015
Zurück zur ÜbersichtDer erste Blick auf die Arbeiten von François du Plessis fasziniert und irritiert zugleich. Vielfarbige Strukturen, Oberflächen wie Stein, Maserungen wie Jahresringe von Bäumen. Verschiedenste Assoziationen tun sich auf, aber das Material bleibt rätselhaft. Erst auf den zweiten Blick ist erkennbar, dass alle Werke aus Büchern gemacht sind. Buchseiten, Buchdeckel, Buchrücken, Lesezeichen – das ist es. François du Plessis Material ist das Buch. Ein Material, dem er unzählige Darstellungsmöglichkeiten abringt: Mal aufrecht nebeneinander gestellt betont er die skulpturale Qualität des Buchs, mal mit Farbe geweißt verweist er auf dessen Objektcharakter. In der Verwendung von bunten Büchern tritt er in einen Diskurs mit Analytischer Malerei und Informel.
Formal spannend und abwechslungsreich, inhaltlich vielschichtig. François du Plessis verwendet meist einen Buchtitel aus der Arbeit als Werktitel. Zufällig oder bedeutungsschwer? Die Titel öffnen Interpretationsspielräume, wie auch allein die Tatsache, dass hier ein Kulturgut höchsten Ranges scheinbar nur als Objekt gesehen wird. Tradition versus Moderne? Analog versus digital? Oder doch nicht?
Für die Stern-Wywiol Galerie zeichnet der Künstler in der Ausstellung „Der rote Faden“ seine Auseinandersetzung mit dem Buch als Bildhauermaterial nach. Das Buch ist der rote Faden im Werk. Oder ist der rote Faden gemeint, der als Lesezeichen aus vielen seiner Skulpturen hervorspringt?
François du Plessis lotet vermeintliche Alltagsgegenstände inhaltlich und formal neu aus, indem er die abstrakte Formensprache der Moderne aufgreift und umdeutet. Er nimmt so eine wichtige Position im zeitgenössischen Diskurs der „grenzenlosen Skulptur“ heute ein.
Die Buchobjekte von François du Plessis sind unwiderstehlich. Sie ziehen die Blicke an mit ihrer Schönheit, ihren wohldosiert gesetzten Harmonien und Disharmonien, ihrer handwerklichen Präzision und, ganz entscheidend, ihrem Geheimnis. Ihr offenkundiges Wohlgefallen wird spätestens ab dem zweiten Blick begleitet von Irritation und Provokation – den für wirkliche Schönheit unabdingbaren Zutaten.
Denn das Material, aus dem die Objekte gemacht sind, ist das Buch. Das Buch in all seinen Typen und Variationen. Vom einfachen Taschenbuch aus der Bahnhofsbuchhandlung über das Gesangbuch mit Goldschnitt bis zum Bildband über Designklassiker, alles ist dabei. François du Plessis kauft sein Arbeitsmaterial meist direkt bei Verlagen oder auch im modernen Antiquariat. Gelegentlich verwendet er für seine Objekte auch im Rahmen eines Auftrags Bücher aus einem ganz bestimmten Kontext, etwa aus einem Nachlass, von einem ganz bestimmten Autor oder Verlag. Bücher interessieren ihn nach eigenem Bekunden ausschließlich als Materie, als Gegenstände mit bestimmten Eigenschaften, Strukturen und Farben. Kann das sein? Kann ein Buch bloße Materie sein?
Oder lässt uns der Künstler bewusst allein mit seinen Werken und der bohrenden Frage, ob man das darf – Bücher als Rohstoff zu nutzen?
Bücher sind ein Kulturgut, auch noch im Internetzeitalter. Werfen wir ein technisch überholtes (also maximal drei Jahre altes) digitales Lesegerät ohne große Bedenken weg, so stellt uns die notwendige Entsorgung von ausgelesenen, uninteressanten oder peinlichen Büchern vor Probleme. Gut gemachte Bücher sind äußerst langlebige Gegenstände. Bücher wirft man nicht gern weg. Weil noch das dümmste Buch für eine Jahrhunderte lange Tradition des Abendlandes steht, in der das Wissen der Zeit in Büchern gespeichert und weitergegeben wurde.
Zu dieser Reflexion über die symbolische Bedeutung des Buches kommt ein weiterer Aspekt hinzu: François du Plessis verarbeitet Alltagsgegenstände in seiner Kunst. Er animiert uns mit seinen Werken, über unser Verhältnis zu den Dingen an sich nachzudenken. Wie steht es mit unserem Verhältnis zu den Dingen, mit unserem Respekt vor ihnen? Schwindet dieser nicht in Zeiten, da wir nicht mehr wissen, wie etwas hergestellt wurde, welche Mühe und welchen Aufwand es kostete, unseren Gegenstand herzustellen? Können Produkte, deren Lebenszyklus vom Produzenten auf eine Saison oder auf wenige Jahre beschränkt ist, überhaupt emotionale Bindungen bei uns erwecken? Dinge speichern die Zeit – wir hängen emotional am Erbstück, das schon die Großmutter getragen hat oder auf dem der Vater gesessen und Zeitung gelesen hat. Welche Dinge, die uns heute wichtig sind, sind in der Lage, die Zeit speichern? Sind nicht bei längerem Nachdenken die Dinge, die uns wirklich wichtig sind auch die, die die Zeit speichern können? Gehören nicht Bücher, und zwar ausschließlich in ihrer gedruckten Form, ganz bevorzugt zu diesen Speichern der Zeit?
François du Plessis stellt all diese Fragen nie vordergründig und doch sind sie der Hintergrund, vor dem sich sein Werk entfaltet. Schon lange vor dem ersten Buchobjekt sammelte der Künstler Bücher, ohne einen bestimmten Zweck damit zu verfolgen. Als Maler suchte er lange nach dem ihm gemäßen Ausdruck.
Die älteste Arbeit in unserer Ausstellung ist von 1994, es ist eine bemalte Leinwand, die mit Fundstücken zu einer Collage verbunden ist. Acht Jahre später benutzte François du Plessis dann erstmals Bücher als Grund für seine Malerei. Der Schritt vom Maler zum Bildhauer, der die Bücher als Körper im Raum begreift und sie zu eigenständigen dreidimensionalen Objekten zusammenfügt, erscheint im Rückblick naheliegend und ist doch das Ergebnis einer jahrelangen, beharrlichen Suche. Der Künstler entwickelt immer neue Techniken, mittels derer er die stofflichen Eigenschaften seines Materials auslotet und diesem immer wieder andere, unerwartete Formen entlockt. Seit etwa vier Jahren arbeitet François du Plessis mit farbigen Buchschnitten und gibt so der Farbe einen bestimmenden Anteil in seinem Werk. In gewisser Weise kehrt er damit auch zurück zu seinen Anfängen als Maler, auch wenn er jetzt keinen Pinsel mehr braucht.
Wie immer verweise ich auf unseren Katalog, der die Ausstellung begleitet und der erstmalig einen retrospektiven Blick auf das Werk von François du Plessis bietet, der aber auch die aktuellen Werke gebührend würdigt.
Viel Vergnügen und danke für Ihre Aufmerksamkeit!
Dr. Kathrin Reeckmann, Hamburg, 29.1.2015