Maike Gräf, Thomas Putze, Yves Rasch – Auf dem Holzweg
19.06. – 26.09.2015
Zurück zur ÜbersichtAnlässlich ihres 3. Geburtstages zeigt die Stern-Wywiol Galerie neue Arbeiten von drei Galeriekünstlern. Die Gegenüberstellung der drei Holzbildhauer macht ihren jeweils ganz eigenen künstlerischen Ansatz deutlich und lässt die Vielfalt möglicher Holz-Wege erahnen.
MAIKE GRÄF
Die Holzskulpturen von Maike Gräf verbinden ein gegenwärtiges
Menschenbild mit einem traditionellen künstlerischen Handwerk. Ihre figurativen Skulpturen greifen durch ihre prismatischen Flächen und Kanten und ihre plakative Farbigkeit aktuelle Kulturmuster auf, während sie inhaltlich von den klassischen Themen Liebe, Leben und Tod handeln. Maike Gräf nimmt mit dieser Symbiose eine unverwechselbare Position in der zeitgenössischen Skulptur ein.
In ihrer aktuellen Werkphase zeigt sie die ursprüngliche Materialität
auf, in dem sie Holz in Form, Fläche und Farbe neu verhandelt.
THOMAS PUTZE
Thomas Putze ist ein Junk-Art Künstler. Weggeworfene und gefundene Holzstücke werden in einem bildhauerischen Prozess bearbeitet und die in ihnen verborgenen Figuren befreit. Formal interessiert ihn die Kombination unterschiedlichster Materialien. Inhaltlich beschäftigt er sich mit dem Unperfekten, dem Makel und der Verletzlichkeit der Kreatur, die er aber positiv und handelnd darstellt.
In seiner neuen Werkserie zum Thema Ordnung, Reihung und Gruppe kratzt er an der Grenze zum Abstrakten.
YVES RASCH
Yves Rasch arbeitet wie Maike Gräf stets aus einem Stück Holz, allerdings bindet er die Materialität des Holzes ganz zentral in sein Werk ein. Anders als die beiden anderen Künstler arbeitet er abstrakt. Seine organische Formensprache ist verdichtete Bewegung, sie verbildlicht grundlegende Prinzipien des Lebens wie Wachstum, Ruhe und Gleichgewicht.
Seine Werke üben eine große haptische und sinnliche Anziehungskraft aus. Er stellt eine neue Serie zum Thema Atmung vor. Eine Metapher für das Leben.
Unter dem Titel „Auf dem Holzweg“ zeigen wir drei Künstlerpersönlichkeiten, die unterschiedlicher nicht sein könnten in ihrer Arbeitsweise, ihrem Denken und Fühlen, ihrem Umgang mit dem Material Holz, das als Grundstoff ihrer Kunst der kleinste gemeinsame Nenner ist, jedenfalls auf den ersten Blick.
Schauen wir uns gemeinsam um:
Maike Gräf stellt uns eine Auswahl taufrischer Werke vor. Wer noch die Arbeiten ihrer letzten Einzelausstellung vor zwei Jahren vor Augen hat oder im Raum nebenan verliebt verholzt anschaut, kann den Unterschied ermessen: Die Farbgebung ist sanfter geworden, die Konturen sind weniger scharf betont, das Holz darf seinen weichen Farbton mehr zeigen. Die Skulpturen wirken poetischer, zarter. Ein weniger an Kontrasten lässt den Farben mehr Raum, es betont die Materialität und die emporwachsende Form der Figuren.
Wie stets geht Maike Gräf von einem klassischen bildhauerischen Ansatz aus und schneidet ihre Figuren aus dem Holzblock heraus. Klassisch sind auch die Themen ihrer Kunst: Liebe, Leben, Tod. Wie die Künstlerin mit all der Klassik umgeht, ist frappierend:
Souverän und quasi nebenbei handelt sie das Erbe der Moderne ab – die prismatisch geschnittenen, perspektivisch verschachtelten Volumen verweisen auf den Kubismus der 1910/20er Jahre, der übersteigerte Ausdruck der Figuren auf den Expressionismus, und die Kombination von Ruppigkeit und Zartheit, die ihre Werke ausstrahlen, ist nicht denkbar ohne die Tradition der art brut der 1950/60er Jahre.
Und ist es nicht aufregend zu sehen, wie Maike Gräf diese Tradition, man könnte auch sagen, diesen Ballast, ins hier und heute überführt?
Die klare Farbgebung, die Betonung der Kontur, die Reduktion und Verfremdung der Farben und die übersteigerte Körpersprache kommen direkt von der Straße. Und vom Zeitungskiosk. Für digital natives: Aus dem Netz. Grafitti und Comic, Streetart und Manga, episches Drama und trashige Pointierung mixt Maike Gräf zu der ganzen Klassik hinzu und erfindet etwas Neues.
Und Geschichten erzählt sie auch dazu: Wer umarmt sich da im innigen Kuss? Wer ist der kleine Sonnenanbeter, der sich so hoffnungsvoll zur Alster wendet, heute nichts findet und dann eben selber strahlen muss? Und der Baum der Erkenntnis, dem als Früchte Augen wachsen, die in verschiedenen Richtungen Ausschau halten, die zu Boden fallen und hoffentlich neue Bäume wachsen lassen? Und wer ist der kleine Golem, der da spielerisch seine Welt aufbaut, so voller Optimismus und Unschuld, so chaotisch und zerstörererisch?
So wie Maike Gräf ist auch Thomas Putze ein hemmungsloser Multiplikator. Er kombiniert gefundenes, weggeworfenes, aussortiertes oder sonst wie entsorgtes Holz und Metall miteinander. Er kombiniert gefundene Formen mit eigenen Formen, er schneidet, ritzt, biegt, bemalt, umwickelt, schraubt und leimt und dübelt.
Schon mit seiner Materialwahl erzählt Thomas Putze Geschichten. Die Geschichte etwa von den ausgebauten hölzernen Fensterrahmen, die massiv und haltbar waren, die im Laufe der Jahre immer wieder neu gestrichen wurden, die man reparieren konnte und die dann doch ausgebaut und weggeworfen wurden. Thomas Putzes Ansatz, die Gegenstände fernab ihrer ursprünglichen Funktion zu verwenden, schärft unseren Blick. Unseren Blick für die Dingwelt, mit der wir uns umgeben. Wann machen wir uns schon Gedanken über den Kreislauf der Dinge, der Waren, über ihre Beschaffenheit, über den Wert, den ein Stück Holz an sich hat, über den Arbeitsaufwand, den es für den Bau eines Fensterrahmens braucht?
Alle Erzählungen des Künstlers handeln von uns Menschen als sozialen Wesen. In der heute ausgestellten Werkserie ist es vor allem unsere Eigenschaft als Herdentier, die er genauer analysiert. Ist es im Schutz der Gruppe einfacher, Spaß zu haben, die Hemmungen abzulegen? Die fast nackten Frauen bei girls, girls, girls jedenfalls fühlen sich extrem gut, sie zeigen sich selbstbewusst, sie locken und bieten sich doch nicht an. Oder die Demonstranten, was demonstrieren, was zeigen die da alle? Etwa ihre Männlichkeit? Stehen da so traut beieinander, sind so ganz gelöst und bei sich bei einer intimen Verrichtung. Sie scheinen sich einander zu trauen, sind aufgehoben in der Gesellschaft ihres Nebenmannes. Eine Frau dazwischen? Undenkbar!
In der Gruppe steckt stets das Thema der Reihung. Einer, und einer, und noch einer und so weiter. In der Gruppe steckt also auch ein Rhythmus, ein Takt. Thomas Putze lotet in seinen Arbeiten aus, welcher Song da gespielt wird in der Gruppe. Die kleine weiße Arbeit die meisten irren zeigt in äußerster Reduktion, fast schon abstrakt, wie mit wenigen Schnitten aus dem Rhythmus der Linien eine schimärenhafte Gruppe aus dem Nebel tritt. Beim großen Appell Nr. 2 formt die Individualität der angetretenen Menschen eine Welle und bei Überzahl löst sich der einzelne im Sound der Masse auf. Sicher wundert es Sie nicht, verehrte Damen und Herren, wenn ich Ihnen jetzt sage, dass Thomas Putze neben der bildenden Kunst auch Musik und Performance-Kunst betreibt?! Sicher haben Sie bemerkt, dass seine heutige Performance „Auf dem Holzweg“ schon im Gange ist. Freuen Sie sich auf den Schlussakkord nach dem Ende der Rede.
Und welchen Weg geht der dritte Künstler unserer Ausstellung, Yves Rasch? Immer aus einem Block schneidet er seine komplexen organischen Formen, deren Durchbrüche, Überschneidungen und Perfektion uns als Betrachter zuerst einmal in Erstaunen versetzen.
Unsere Ratio wird für einen Augenblick außer Kraft besetzt, wir wollen erst einmal nur wissen, wie die Form aussieht, wollen drum herum gehen und in einem günstigen Moment auch mit den Händen fühlen, was das ist. Wie in einem Experiment scheint Yves Rasch uns vorzuführen, wie stark unsere Sinne sind und wie unbedingt sie unser Erleben der Welt erst möglich machen. Vor den Skulpturen von Yves Rasch sind wir nah dran an unseren Empfindungen, an Dingen, die wir gar nicht wussten und doch gleich wiedererkennen.
Yves Raschs Skulpturen sind verdichtete Bewegungen, Form gewordene Bewegung. Sie bilden keine Dinge ab, sondern verbildlichen grundlegende Prinzipien des Lebens wie Bewegung, Wachstum, Ruhe, Gleichgewicht.
In der Ausstellung zeigen wir eine Werkserie zum Thema Atmung. Atmung, diese ununterbrochene, meist nicht bewusst wahrgenommene Bewegung, mal gleichmäßig, mal nicht, mal schnell, mal langsam, die eine Grundfunktion lebendiger Wesen ist. Der Klangkörper rot aus dem Jahr 2012 bildet den Ausgangspunkt für dieses Thema. Die Kreisform, in vielen Werken von Yves Rasch der Ausgangspunkt, zieht sich auseinander und scheinbar auch wieder zusammen, bewegliche Faserstränge halten das Ganze, geben Festigkeit und Flexibilität. In den aktuellen Werken, die unter dem Titel Atmung eine Gruppe bilden, wird dieses Prinzip weitergedacht. Die Formen scheinen sich aus der Kreisschablone zu befreien, sie werden amorph und unregelmäßig und bergen doch immer wieder den Kreis als Grundform und als Metapher für die immerwährende Folge von Werden und Vergehen in sich.
Die Objekte von Yves Rasch erwecken in uns ein Bedürfnis nach Nähe, nach Berührung. Wir werden ganz unmittelbar auf der emotionalen Ebene angesprochen.
Yves Rasch nimmt mit dieser Haltung bewusst und selbstbewusst eine sehr eigene Position in der zeitgenössischen Kunst ein. Er verlässt sich ganz auf die Kraft der Form und die Möglichkeiten des Materials Holz und drängt uns, uns auf unsere angeborene Sinnlichkeit zu fokussieren. Als dritte Möglichkeit, den Holzweg zu gehen, verweist uns Yves Rasch auf die Basis aller Erfahrung und legt sozusagen das Fundament für unseren Zugang zur Welt und zur Kunst sowieso.
Ich lade Sie herzlich ein, uns immer mal wieder zu besuchen. Wir tauschen verkaufte Exponate regelmäßig aus und bieten also immer neue Einsichten.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen einen anregenden Rundgang!