Henning Schwarz, Anja Michaela Kretz – Meisterschüler und Klasse Balkenhol - Ansichten und Einsichten
28.03. – 23.08.2014
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- Ausstellungsansicht Henning Schwarz
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- Ausstellungsansicht Anja Wiebelt
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- Ausstellungsansicht Anja Wiebelt
Die Ausstellung Ansichten und Einsichten ist der Beginn einer neuen Reihe mit dem Titel „Meisterschüler“. Hier stellt die Stern-Wywiol Galerie in unregelmäßigen Abständen Meisterschüler bedeutender zeitgenössischer Bildhauer vor. Den Auftakt machen Henning Schwarz und Anja Wiebelt – Meisterschüler von Stephan Balkenhol.
Stephan Balkenhol studierte bis 1982 an der HfBK in Hamburg und ist ein international erfolgreicher Künstler. In der Hansestadt ist er mit folgenden Werken vertreten: Mann auf Giraffe vor Hagenbeck, Mann und Frau vor der Zentralbibliothek und den Vier Männern auf Bojen auf Außenalster und Elbe.
Anders als ihr Lehrer arbeiten die beiden Künstler nicht als Holzbildhauer.
Henning Schwarz‘ Material ist Stein. Er nimmt sich Gabbro, Diabas oder Marmor und bearbeitet diese zu spiegelglatten Oberflächen. Die Schönheit des Materials ist überwältigend und wird doch immer wieder gebrochen durch unregelmäßige Kanten und schroffe Abbrüche. Der Künstler spielt mit Brüchen und Gegensätzen, inhaltlich wie formal. Seine Arbeiten wechseln zwischen abstrakt und gegenständlich, spielen mit den Medien Zeichnung und Skulptur, springen zwischen Ein-, Zwei- und Dreidimensionalität hin und her.
Anja Wiebelt blickt ins Innere und gewährt dem Betrachter Einsicht ins Verborgene. Der Konzeptkünstlerin kommen dabei alle möglichen Materialien zu pass. Holz, Metall, Papier, Draht, Latex, Stoff … Auch ihre Arbeitsmethoden sind vielfältig. Sie fotografiert, zeichnet, collagiert, arbeitet holzbildhauerisch oder als Schmiedin, näht und leimt ... Sie geht aus von der inneren Welt, für die sie konkrete Bilder und Metaphern sucht, die dem fragilen, verletzlichen und schutzbedürftigen Ich Anschauung verleihen und der Flüchtigkeit der Erinnerung nachspüren.
Rede zur Vernissage von "Ansichten und Einsichten" von Dr. Kathrin Reeckmann, 27.03.2014
Sehr geehrte Damen und Herren, ich möchte Ihnen einige Gedanken mit auf den Weg geben zum Werk von Anja Wiebelt und Henning Schwarz. Zwei Künstler, die verschiedener nicht sein könnten in Material, Stil und Ausdruck.
Was also könnte ein Verbindungsglied sein, eine Methode, beide Künstler zu würdigen, ohne Ihre Geduld, meine Damen und Herren, über Gebühr zu strapazieren? Es sind Sie selber, die den Schlüssel dazu haben. Es ist Ihre Wahrnehmung, es ist Ihr Sehen vor allem, das Ihnen den Zugang zur Kunst ermöglicht.
Eigentlich eine Selbstverständlichkeit, die aber eben auch oft durch vorgefertigte Meinungen und mangelndes Selbstvertrauen in die eigene Beobachtungsgabe verstellt ist. Ich lese gerade die „Geschichte der Welt in 100 Objekten“ von Neil MacGregor, Direktor des British Museum in London. Mit Understatement und Humor werden hier fast 2 Millionen Jahre Menschheitsgeschichte anhand von 100 Stücken aus der Sammlung des Museums erzählt, vom Faustkeil bis zur Kreditkarte. Es ist absolut verblüffend, welche Erkenntnisse allein aus dem vorurteilsfreien und kenntnisreichen Blick auf das Ding an sich gewonnen werden können. Viel zu oft verlassen wir uns nämlich auf das, was wir zu wissen glauben und vergessen dabei ganz, die Dinge an sich zu erforschen und sie selbst in ihrer Sprache sprechen zu lassen. Mit Hilfe dieses Blicks, vorteilsfrei und kenntnisreich, möchte ich Ihnen das Werk von Anja Wiebelt und Henning Schwarz vorstellen.
Zuerst möchte ich Ihren Blick lenken auf Anja Wiebelt und ihre Arbeit „Standby“. Was sehen wir also?
Zwei aufrecht stehende Röhren, unten mit einem Boden und nach oben sich verbreiternd – es handelt sich wohl um Gefäße, vielleicht Vasen oder Fässer. Was wird darin aufbewahrt? Wir wissen es noch nicht. Die Gefäße sind unregelmäßig geformt, nicht ganz gerade, sie neigen sich leicht einander zu. Sofort fällt die Machart dieser Gefäße ins Auge: Sie sind jeweils aus einem massiven Stück Holz herausgeschnitten worden. Ihre dünnen Wände sind immer wieder durchbrochen von Spalten und Löchern. Ist das der Zahn der Zeit? Haben wir archäologische Fundstücke vor uns? Unwahrscheinlich.
Befragen wir an dieser Stelle einmal unser Herz nach seinen Beitrag, so bemerken wir ein Gefühl der Vergänglichkeit, des Flüchtigen, des Etwas-ist-nicht-mehr-so-wie-früher. Wir haben vielleicht auch das Gefühl, diese Objekte sind lebendig. Sie wenden sich einander zu, haben etwas Wesenhaftes, ja fast Figürliches. Weiter auf diese Fährte führt uns der Titel des Kunstwerks „Standby“. Also „Bereitschaft“. Bereit für was? Bereit etwas aufzunehmen, aber was? Diese wesenhaften, fast lebendigen Gefäße sind das vielleicht wir? Ist das unser Ich? Und was nehmen wir auf? Empfindungen, Erlebnisse. Was bleibt? Erinnerungen, mehr oder weniger scharf, flüchtig und wandelbar. Unversehens aber zwangsläufig gelangen wir auf eine metaphorische Ebene mit solchen Gedankengängen und können diese Sichtweise mitnehmen für die Betrachtung der anderen Werke von Anja Wiebelt:
Stets erfindet die Künstlerin Objekte, deren Merkmal das Uneindeutige, das Ungefähre, das schwer Fassbare ist. Oft sind es Gefäße, stehend oder auch an der Wand angebracht, die uns eine äußere Hülle zeigen von etwas, was nicht sichtbar ist, verschwunden oder auch nie dagewesen. Dieses Innere zu verbinden mit dem Seelenleben, mit Gefühlen, vielleicht auch mit dem Unbekannten oder Unbewussten, ist ein nächster Schritt der Reflexion. Es ist an uns, diese Inhalte zu imaginieren und eigene Einsichten zu formulieren.
Auch das Werk von Henning Schwarz ist ideal geeignet, den Blick zu schulen:
Wenn Sie sich etwa das schwarze Objekt in der Mitte des Raumes anschauen: Mehrere dünne, gerade zugeschnittene Stücke schwarzen Steins sind über Kreuz ineinander gesteckt. Zwei ausladende Platten bilden dabei so etwas wie zwei Füße oder Sockel. Darauf stehen zwei lange Platten, ähnlich zwei Beinen, auf denen ein Verbindungsstück steht, das schließlich zwei lange Spitzen hält. Zweifellos handelt es sich um eine abstrakte Darstellung, wenn auch figürliche Assoziationen mit herein spielen. Versuchen wir es mit Material und Technik: Die Skulptur besteht aus Gabbro – einem granitähnlichen, sehr harten Gestein. Auffällig ist seine Verarbeitung: Die Flächen sind teils auf Hochglanz poliert, sehr regelmäßig, sehr perfekt, weil maschinell hergestellt. Die Farbe des Steins geht ins Schwarze und er wirkt wie ein Spiegel. Andere Flächen und die Kanten dagegen sind gesägt, nicht poliert, sie bekommen dadurch eine samtige, graue Oberfläche. Unerwartet erscheint dem Betrachter die Verbindung der einzelnen Teile, die deutlich sichtbar ist: Der Künstler sägte hier Schlitze in den Stein und steckte diese dann über Kreuz ineinander. Die Skulptur wirkt wie aus einem großen Konstruktions-Spiel aufgebaut. Wäre auch eine andere Anordnung möglich? Könnte ein eigenmächtiger Ab- und Wiederaufbau, gar ein Neubau gelingen? Werkzeug scheint es ja nicht zu brauchen und spielen kann ja jeder.
Henning Schwarz konstruiert aus zweidimensionalen Platten etwas Neues. Er verbindet sie zu einem raumgreifenden Ganzen, das mehr ist als die Summe seiner Teile. Seine Skulptur hat er „Archimedes“ betitelt. Handelt es sich also um ein Denkmal für den griechischen Mathematiker und Ingenieur, der das Hebelgesetz formulierte und die Zahl Pi entdeckte? Nein, sicher nicht im direkten Sinne. Aber vielleicht weist uns der Künstler hin auf die Schönheit von Mathematik, Geometrie und Mechanik, die in vielen seiner Werkte steckt und die ja seit der Antike zu den Schönen Künsten gehörten – ganz im Gegensatz zur Bildhauerei übrigens.
Neben Spieltrieb und Rationalität gibt es ein drittes Prinzip, das unsere Empfindungen uns erschließen: Wir sehen, dass die Werke von Henning Schwarz aus Stein gefertigt sind. Wir wissen, dass das ein sehr schweres Material ist. Aber wir fühlen diese Schwere nicht beim Betrachten der Objekte. Henning Schwarz spielt also mit unserer Vorstellung vom Material Stein und der daraus üblicherweise gefertigten Kunst. Ihn reizt nicht das Schwere, ja Kraftmeierische des Materials. Landläufige Assoziationen wie Geschichtlichkeit oder Monumentalität interessieren ihn vor allem, um sie zu unterlaufen, mit ihnen zu spielen. Henning Schwarz‘ Arbeiten erscheinen leicht und schwerelos, sie zielen auf poetische Berührung, nicht auf physische Überwältigung des Betrachters.
Ich hoffe, meine Damen und Herren, es bereit Ihnen Vergnügen, Ihren Blick in unserer Ausstellung auszuprobieren. Ich möchte Ihnen noch ein Wort von Arthur Schopenhauer mitgeben, das zwar theoretisch auf jede gute Kunst anwendbar ist, aber heute Abend wunderbar als Verbindungsglied zwischen Anja Wiebelt und Henning Schwarz passt: „Der Stil ist der genaue Abdruck der Qualität des Denkens“.