Jürgen Paas – HULAHOOP
09.10.2015 – 27.02.2016
Zurück zur ÜbersichtMit der Ausstellung HULAHOOP stellt die Stern-Wywiol Galerie das Werk des Essener Künstlers Jürgen Paas in einer breit angelegten, retrospektiven Schau vor. Von Anfang an arbeitet der Künstler in einer Doppelrolle als Maler und Bildhauer, reiht gemalte Flächen in blockhaften Depot-Konstruktionen hintereinander und verdichtet so malerische Flächen zu rhythmisch strukturierten Raum-Objekten. In seinen neuesten, stark farbigen und scheinbar de-komprimierten Arbeiten fügt Jürgen Paas seinen minimalistisch geprägten Objekten ein stark subjektives, ja rauschhaftes Element hinzu und gibt seinem Werk so eine neue Wendung.
The exhibition HULAHOOP is presented by the Stern-Wywiol Gallery and shows the work of the Essen-based artist Jürgen Paas in an extensive, retrospective exhibition. From the beginning, the artist has worked in a dual role as a painter and sculptor. He lines up painted surfaces in block-like, storehouse constructions one in front of the other, thus turning them into rhythmically structured objects in space. In his latest, highly colorful and seemingly decompressed works, Jürgen Paas adds a highly subjective and even ecstatic element to his characteristically minimalist objects, giving his work a new twist in this way.
Ein Buch, ein Film, ein Theaterstück oder eine Ausstellung braucht einen Titel. Titel sind wichtig und bestimmen die Wahrnehmung von Kunst fast so sehr wie der Inhalt. Also machen auch wir uns intensive Gedanken dazu und diskutieren viele Varianten. Haben wir den richtigen gefunden? Was meinen Sie?
1. Vorschlag: MINIMAL MAXIMAL
Zwei Adjektive, aus dem Lateinischen stammend, bedeuten „wenig“ und „das meiste“.
Auf die Kunst von Jürgen Paas bezogen, wird es ein Wortspiel: Minimal englisch gelesen bezeichnet die Kunstrichtung Minimal Art. Seit den 1960er Jahren nutzen Künstler einfache, meist geometrische Grundfiguren, häufig industriell hergestellt und häufig in serieller Anordnung und versuchen, daraus eine möglichst objektive Kunst zu machen, voller Klarheit und Logik.
Passt also gut auf die Arbeit von Jürgen Paas. Schon in seinen frühen Jahren als Künstler, kurz nach Beendigung des Studiums der Malerei und Bildhauerei schneidet er 1990 seinen Pariser Arbeits-Tisch in fünf gleich große Teile und stellt diese hintereinander ein in eine kastenförmige Stahlkonstruktion, in ein Depot.
Nebeneinander an die Wand gehängt, ergeben die fünf Teile ein expressionistisch-abstraktes Gemälde voller Poesie und Schönheit. Kühl und mathematisch logisch geteilt, zu einem dreidimensionalen Block gereiht, wird das Objekt dann minimalistisch. Gleichzeitig verbindet Jürgen Paas den minimalistischen Gedanken quasi mit dem maximal entgegen gesetzten Gedanken, dem Expressionismus, und überführt das Tafelbild in die dritte Dimension. In dieser dritten Dimension interessiert Jürgen Paas der Gedanke der Ordnung: Was passiert mit Dingen, wenn man sie ordnet? Ordnung scheint gesetzmäßig, ist aber immer Willkür, wenn man genauer darüber nachdenkt. Was passiert also mit Gemälden, mit Kunstwerken überhaupt, wenn man sie ordnet? Sie verändern sich, manche werden wichtiger, andere treten scheinbar zurück, aber alle zusammen ergeben etwas Neues.
2. Vorschlag: SIGNS & SOUNDS
Zwei Substantive aus dem Englischen, „Zeichen und Klänge“.
Jürgen Paas verwendet für seine Arbeiten geometrische Grundformen wie Kreis, Quadrat, Rechteck. Diese Formen sind stets einfarbig, meist intensiv leuchtend. Sie könnten gut ein Zeichen darstellen – rote Kreise wirken warnend, halten auf Abstand, orangene regen an, blaue wirken entspannend usw. Die geometrischen Grundformen sind auch ein Verweis, ein Zeichen für die künstlerischen Vorfahren von Jürgen Paas, zu denen etwa Donald Judd, Imi Knoebel und Kasimir Malewitsch gehören. Aus dem Zusammenspiel der einzelnen Zeichen ergeben sich in den Installationen Klänge, Stimmungen, Sounds. KINO etwa lebt von der Dynamik der farbigen Kreise, Scheiben und Spiralen, vom Farbklang wie vom Rhythmus ihrer Anordnung. Die Arbeiten von Jürgen Paas sind so abstrakt, dass zu ihrer Beschreibung eine Umschreibung, ein Instrumentarium bemüht werden muss. Die Musik kann eines davon sein.
3. Vorschlag: FARBE³
Ein Substantiv in einem mathematischen Term.
Jürgen Paas ist malerisch denkender Bildhauer und bildhauerisch denkender Maler. Er hat sich in seiner Materialwahl, den lackierten MDF- und Stahlplatten, den Acrylglasscheiben, weit von seinen Anfängen als Maler entfernt. Gleichzeitig ist er mit den farbsatten Hochglanz-Flächen so nah dran an der reinen Farbe, wie es nur irgendwie geht. Jürgen Paas denkt nach, wie sich die Anordnung von Farben untereinander auf die Wahrnehmung der einzelnen Farbe auswirkt – das tun Maler seit dem Anbeginn der Kunst. Schauen Sie sich dazu die COLORBOXES an, dann wissen Sie, was ich meine. Jürgen Paas ordnet die Farben in räumlichen Bezügen an. Er verdichtet die Farbflächen, ordnet und reiht sie zu blockhaften Objekten. Er erobert die dritte Dimension, den Raum – Farbe³.
So auch das Archiv Farben: Seit Isaak Newton wissen wir, dass das weiße Sonnenlicht die Summe aller Farben – der Spektralfarben – ist. Nehmen wir etwa einen Gegenstand in Blau wahr, so kann dieser Gegenstand den blauen Anteil des Lichts besonders gut reflektieren und erscheit uns also blau. Im Archiv Farben bestrahlt Jürgen Paas Acrylglasplatten mit Schwarzlicht. Diese im Gegensatz zur übrigen Lichtstrahlung für uns unsichtbare Strahlung regt fluoreszierende Stoffe zum Leuchten an. Die farbigen Glasplatten haben also je nach auftreffender Lichtstrahlung eine unterschiedliche Farbigkeit – schöner haben Sie die Gesetze von Optik und Malerei doch selten vorgeführt bekommen. Mit dem floureszierenden Farbarchiv hier in Hamburg feiert der Künstler übrigens eine Premiere. Jürgen Paas hatte in jungen Jahren schon einmal mit Schwarzlicht experimentiert, das Thema dann aber zugunsten anderer Erkundungen beiseite gelegt und es jetzt für die besondere Raumsituation unserer Galerie neu aufgegriffen. Wir sind sehr stolz darauf.
4. Vorschlag: HULAHOOP
Ein Kunstwort: „Hula“ steht für einen hawaiianischen Tanz und „hoop“ ist das englische Wort für (Fass-)Reifen. Das Wort wurde 1958 für die Marketingkampagne einer amerikanischen Spielzeugfirma erfunden, die damit einen bunten Kunststoffreifen millionenfach verkaufte. Das Wort wurde vom Markennamen zur Gattungsbezeichnung. Es ist ein ungemein positives Wort. Es klingt gut, es sieht toll aus, und es weckt positive Emotionen. Im Klang, im Schriftbild und in der Assoziation dieses Wortes ist eine kreisförmige Bewegung enthalten. Um einen Hulahoop-Reifen um die Hüften kreisen zu lassen, braucht es Koordination, Rhythmusgefühl und Kraft. Lässt sich so nicht auch die Gefühlslage, der Sound von Jürgen Paas’ gleichnamiger Installation hier in der Galerie beschreiben? Lässt sich so nicht das ganze Werk von den malerischen Anfängen bis heute, so beschreiben? Als kontrollierter Rausch, als reflektierte Ekstase?
Dr. Kathrin Reeckmann, Hamburg, 8.10.2015