Dieter Balzer, Jürgen Paas, Willi Siber – Farbrausch
02.09. – 25.11.2017
Zurück zur ÜbersichtDie drei Künstler Dieter Balzer, Jürgen Paas und Willi Siber haben vieles gemeinsam. Sie arbeiten abstrakt. Sie verwenden industriell gefertigte Materialien wie PVC-Bänder, MDF-Platten und Stahlformen, Spezial-Folien und Pulverlacke, die sie zweckentfremdet und in handwerklicher Perfektion einsetzen. Sie experimentieren abseits der Funktionalität mit den spezifischen Eigenschaften der Materialien und stellen die ästhetische Komponente in den Vordergrund. In diesem Aufwertungsprozess agieren alle drei Künstler verschwenderisch mit dem Einsatz von Farbe.
In der Auseinandersetzung mit der Wechselwirkung von Farbe, Form, Oberfläche und Licht kommen sie jedoch zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen – vom intellektuellen Dialog bis zur emotionalen Überwältigung – und bereichern so den Diskurs der grenzenlosen Skulptur heute.
Die Stern-Wywiol Galerie stellt in der Ausstellung Farbrausch Dieter Balzer erstmals vor und zeigt neue Werke ihrer Galeriekünstler Jürgen Paas und Willi Siber.
Dieter Balzer steht in der Tradition der konkreten Kunst. Er zerschneidet MDF-Platten und konstruiert daraus streng geometrische, architektonisch anmutende Objekte für Wand und Raum. Sie heißen Horizontale, Orthogonale oder Konjunktion. Diese beklebt Dieter Balzer mit Farbfolien, die in ihrer Passgenauigkeit die Verstrebungen der MDF-Konstruktionen zwar nachbilden, diese in ihrer Farbigkeit aber konterkarieren. Das Eigenleben der Farbe hebt so die Materialität des Objekts auf und überführt den Gegenstand ins Geistige, Konkrete.
Jürgen Paas stellt seine neue TARGET-Serie vor. Farbige PVC-Bänder fügen sich spiralförmig aneinander zu plastischen Wand- und Bodenobjekten. Grundsätzlich dem Minimalismus verhaftet, bleibt Jürgen Paas in der Form stets klar und geometrisch. Zusätzlich verleiht er dem Objekt aber in der Farbigkeit malerische Qualitäten, die ins Psychedelische gleiten. Der Gegenstand wird gleichzeitig mit psychologischen wie technischen Assoziationen verknüpft und so inhaltlich aufgeladen.
Willi Siber arbeitet mit Spezial-Lacken und Pigmenten, Industriestahl und Epoxidharz. Seine Formen scheinen jenseits physikalischer Gesetze zu schweben. Sie lassen Wachstum und Bewegung assoziieren und bringen die Farbe zu maximaler Wirkung. Die Farbe führt ein Eigenleben und ist absolut gesetzt – inhaltlich wie formal. Die technisch schier unbegrenzten Möglichkeiten des HiTec-Industriezeitalters verbinden sich mit Elementen aus Pop, Postmoderne und Dekonstruktion zu einer ebenso ungewöhnlichen wie verführerischen Mischung.
Seit einigen Wochen bietet sich mir jeden Tag in der S-Bahn ein interessanter Blick:
Ich fahre durch einen sehr schönen Stadtteil von Hamburg, in dem Einzelhäuser in reichlich Grün eingebettet sind. Die Bahnstrecke gibt es seit fast 150 Jahren und so haben sich mit der Zeit alle Häuser an ihrem Verlauf ausgerichtet. Ausnahmslos alle Häuser stehen parallel zu den Gleisen. Nun ist der Bebauungsdruck in Hamburg enorm und ältere, durchschnittliche Häuser werden verstärkt abgerissen und durch neue ersetzt. Immer sind sie größer als ihre Vorgänger und die Durchlässigkeit zwischen den Häusern nimmt ab. Das ist wirtschaftlich sicher sinnvoll, aber ästhetisch sehr langweilig. Und jetzt der interessante Blick: Ein kleines Einzelhaus wird durch einen deutlich größeren Würfel mit Apartments ersetzt, das Grundstück sieht jetzt klein aus. ABER: Der Würfel tanzt aus der Reihe! Er verlässt das alte Schema und steht um vielleicht 15-20 Grad versetzt in der Reihe und bricht die Symmetrie auf. Er wird beweglich und wirkt leichter als er ist. Er bietet nämlich andere Fluchtlinien als die Häuser rechts und links von ihm. Das macht ihn dynamisch, es macht ihn interessant. Weil nämlich unser Gehirn die Monotonie hasst und nach Abwechslung lechzt. Es möchte arbeiten, sich entwickeln und neue Perspektiven ausprobieren.
Und genau diesen Umstand, Sie ahnen es bereits, macht sich Dieter Balzer in seiner Kunst zunutze.
Dieter Balzer konstruiert aus denkbar reduzierten Ausgangsmaterialien – aus MDF-Kanthölzern und lichtechter Spezialfolie – und aus den ästhetischen Zutaten Linie, rechter Winkel und glatte Farbe komplexe dreidimensionale Objekte.
Balzer verwendet einfachste geometrische Grundformen, ausgehend vom Quadrat als der Urform der minimalistisch/konkreten Kunst.
- immer wieder aufeinandergeschichtet, gespiegelt, gedreht
- immer wieder aus anderen Farben zusammengesetzt
- s/w als Orientierungspunkte
- spielt mit Fläche und Raum
- Farben entmaterialisieren den Raum
- Zwischenräume und Schatten schaffen den Raum
Dieter Balzer abstrahiert nichts, was es gibt in der dinglichen Realität, er materialisiert etwas Geistiges – Prinzipien wie Variation, Rhythmus, Farbe.
Bei all dem brauchen Sie erst einmal keine besondere Kunst-Bildung:
ihr Gehirn kommt auf Hochtouren, wenn Sie die die Verflechtungen der Konstruktion, die Wechselwirkung der Farben zu verstehen versuchen.
Im Vergleich von Proportionen und Farbwerten läuft im Hintergrund die halbe Kunstgeschichte mit und Sie lernen viel mehr, als Sie ahnen.
Kommen Sie noch 5x wieder oder schauen Sie sich die Werke vom Sofa aus an – Sie werden sie nicht reproduzieren können und immer wieder neue Zusammenhänge entdecken.
Dieter Balzer arbeitet seine Entwürfe millimetergenau am PC aus
er wäre zum Scheitern verurteilt oder würde Monate für ein Werk brauchen, wenn er derart komplexe und ausgewogene Mikrokosmen allein intuitiv am Werktisch erschaffen würde:
Dieter Balzer
ist schon als Jugendlicher mit solcher Art von Mikrokosmen in Berührung gekommen. Er wurde 1959 in Neuhofen in der Pfalz geboren und wuchs in Ludwigshafen am Rhein auf, wo sich 200 Meter von seinem Gymnasium entfernt das Wilhelm-Hack-Museum befindet. Dieses Museum hat eine ausgezeichnete Sammlung geometrisch-abstrakter Kunst mit Werken etwa von Malewitsch, Mondrian und Max Bill. Der junge Dieter Balzer bekam hier eine erste Ahnung, was es mit der Kunst der Reduktion auf sich haben könnte. Er hat dann Philosophie und Kunstgeschichte in Heidelberg und Kunst in England und Norwegen studiert und lebt als freischaffender Künstler in Berlin. Er stellt in Museen, Kunstvereinen und Galerien aus, hat eine treue Fangemeinde in New York und wir sind uns sicher, dass wir auch die Hamburger für ihn begeistern können.
Den Hamburgern schon gut bekannt ist Jürgen Paas von seiner Einzelausstellung vor zwei Jahren hier in der Galerie.
Der Ausstellungstitel FARBRAUSCH ist bei seinen neuesten Werken, den TARGETS, durchaus wörtlich zu nehmen.
Unser Auge ist rein physiologisch nicht in der Lage, Spiralen als statische Anordnung von Linien zu erfassen. Aus den gelieferten Reizen kreiert unser Gehirn automatisch eine Kreisbewegung, es schafft sich seine eigene Wirklichkeit. Für solche Exkursionen nahm man früher LSD, hier bei uns geht das ganz ohne Risiko.
JP gibt für diese Wirklichkeit seine Farben dazu, die er vorher in einer bestimmten Farbfamilie, einem bestimmten Gesamtklang auswählt.
Im Arbeitsprozess baut er dann die TARGETS von außen nach innen in einem intuitiven Arbeitsprozess auf, lässt sich ein Stück weit vom Werk selber treiben und gibt auch spontanen Einfällen nach.
Wie Dieter Balzer arbeitet er mit industriell gefertigten Rohmaterialien, hier sind es farbige PVC-Bänder.
Ebenfalls zu sehen die neue Serie der Drumsticks. Klassische Malerei auf Sperrholz. Könnte zu einer neuen Werkserie werden. Manche Menschen können Bilder ja hören – ich wäre gespannt, was hier gespielt wird.
Vielleicht ist es der Tusch zu seinem nahenden 60. Geburtstag! Aus diesem Anlass startet im nächsten Jahr eine Ausstellungs-Tournee durch zahlreiche Kunstvereine, Museen und Galerien.
Jürgen Paas hat mir aufgetragen, Ihnen zu seinen Werken folgendes zu sagen:
Sie können Sie gern anfassen, sie können versuchen, sie zu drehen und
auf der Bodenarbeit können Sie gern barfuß tanzen --------
WENN SIE BEI SICH ZUHAUSE SIND
Last but not least möchte ich Sie auf die Arbeiten von Willi Siber aufmerksam machen, der heute leider nicht in Hamburg sein kann und Sie herzlich grüßen lässt.
Seine neuen Bodenobjekte machen dem Ausstellungstitel alle Ehre. Im Gegensatz zu Dieter Balzer und Jürgen Paas, die man als konstruktivistische Konkrete oder als Minimalisten bezeichnen könnte, wäre Willi Siber vielleicht treffend als der barocke Pop-Art-Künstler zu bezeichnen. Aus einfachsten Grundformen – hier sind es Kreise – und industriell hergestellten Lackoberflächen – schafft er Objekte, die wirken, als habe er sie ganz schnell und intuitiv mit der Hand gefertigt. Die Farben – es sind Chrom- und Interferenzlacke, die in der Autoindustrie verwendet werden – haben etwas Überwältigendes. Fast scheint es, als seien die Formen allein dafür da, damit die Farben wirken. Sibers Thema ist die Schönheit, die um ihrer selbst willen existiert. Sein Thema ist unser Bedürfnis nach Licht und Bewegung – sprich nach positiver Energie.
Diese positive Energie wünsche ich Ihnen heute Abend beim Rundgang durch unsere Ausstellung.